Die Energiewende braucht als Basis einen starken Ausbau der Netzinfrastruktur sowie neue Möglichkeiten die zunehmend volatilen Energieformen zu speichern. Hier setzt eine spannende Technologie an – das bidirektionale Laden.
Private Autos stehen im Durchschnitt rund 23 Stunden am Tag auf einem Stellplatz – manche gar tagelang. Auch E-Autos sind vor diesem Schicksal nicht gefeit, doch haben sie einen großen Vorteil gegenüber ihrer Verbrenner-Vorfahren – sie sind im wesentlichen mobile Energiespeicher. Gerade für die Zukunft, in der Energieerzeugungs- und Verbrauchszeiten nicht zwingend übereinstimmen, wird es immer wichtiger neue Technologien für die Zwischenspeicherung zu finden. PV-Anlagen speisen etwa hauptsächlich zu jenen Zeiten Strom in das Netz, in denen der Verbrauch erfahrungsgemäß eher gering ist. Mit zunehmendem Ausbau werden diese Produktionsspitzen immer größer und müssen begrenzt werden wenn keine zusätzlichen Speicher verfügbar sind.
Hier kommen die E-Autos bzw. genau genommen deren Batterien ins Spiel – von denen Ende Mai 2023 immerhin bereits 127.987 auf Österreichs Straßen unterwegs sind. lebenswelten hat mit David Grubinger gesprochen, der sich aus Sicht des Netzbetreibers Salzburg Netz GmbHAls konzessionierter Netzbetreiber ist die Salzburg Netz GmbH Ansprechpartner für das Strom- und Gasnetz im Versorgungsgebiet Stadt und Land Salzburg.Mit rund 18.000 km Stromnetzleitungen in… seit Jahren mit dem innovativen Thema bidirektionales LadenBeim bidirektionalen Laden wird Energie in beide Richtungen ausgetauscht, das E-Auto wird nicht nur mit Strom aufgeladen, sondern kann diesen auch abgeben. In der Zwischenzeit… auseinandersetzt.
lebenswelten: Wie kann man sich das Konzept des bidirektionale Ladens vorstellen?
DG: Im Wesentlichen beschreibt es ein Be- sowie wieder Entladen der Autobatterie, was sie zu einem mobilem Energiespeicher macht. Es gibt aktuell zwei Anwendungsgebiete: Vehicle-to-Home und Vehicle-to-Grid. Für ersteres gibt es ein einfaches Beispiel, bei dem sich jeder etwas vorstellen kann: Das Auto steckt tagsüber an der Wallbox und lädt den Strom aus der PV-Anlage in die Batterie. Abends, wenn die Sonne dann weg ist, kommt der Strom wieder zurück ins Haus. Vehicle-to-Grid ist im Wesentlichen nichts anderes, nur wird nicht durch einen Haushalt gesteuert, sondern durch Dienstleister im Strommarkt. So können Energiespitzen – sowohl in der Erzeugung, als auch im Verbrauch – intelligent sowie kosten- und ressourceneffizient ausgeglichen werden.
lebenswelten: Das klingt nach einer spannenden Technologie! Doch wie steht es um die Umsetzbarkeit des bidirektionalen Ladens?
DG: Ist-Stand aktuell: Viele sprechen davon, keiner machts! Es gibt kein bidirektionales Laden im großen Stil bei uns in Europa. Anders ist das beispielsweise in Asien, wo die Fahrzeuge aufgrund der Regulatorien ermöglichen müssen, aus der Batterie wieder Energie zu entnehmen. Der Klassiker ist hier eine Steckdose am Fahrzeug, durch die eine Notstromversorgung hergestellt werden kann. Je nach Hersteller gibt es dafür bereits jetzt verschiedene Konzepte. Im europäischen Raum ist das Thema noch nicht richtig angekommen. Für Test- oder Forschungszwecke können die asiatischen Fahrzeug-Modelle herangezogen werden.
lebenswelten: Wie sieht es bei den europäischen Autoherstellern aus? Gibt es Bestrebungen diese Funktion bereitzustellen?
DG: Aktuell stellt sich dabei die Frage: wer ist der Erste, der Auto- oder der Ladestationshersteller? Es gibt eine Norm, die den Rahmen vorgibt, innerhalb dessen bidirektionale Anlagen konzipiert werden können. Diese sind sehr offen formuliert. Das befeuert einerseits den Erfindergeist, andererseits wird es nicht zu einer raschen, flächendeckenden Lösung führen. Seitens Autohersteller werden bereits heute Pakete geschnürt die definieren, wie viel Energie aus der Batterie entnommen werden darf. Ziel ist es, keine Lade-Leistung einzubüßen. Im Forschungsprojekt Car2Flex, an dem die Salzburg Netz GmbH beteiligt ist, werden Prototypen von bidirektionalen Wallboxen gebaut bzw. getestet. Technisch funktioniert das Thema einwandfrei, aber die regulatorischen Rahmenbedingungen sind für die Praxis noch nicht umgesetzt. In einem ersten Schritt müssen meiner Meinung nach die Autohersteller attraktive Modelle auf die Straße bringen, die externes Entladen der Batterie zulassen. Die Ladestationshersteller warten auf diese Modelle und sind bereits in den Startlöchern.
lebenswelten: Wie wirkt sich das auf die Netzbetreiber aus?
DG: Wir können die Energiewende nur gemeinsam schaffen, dafür müssen sehr viele erneuerbare Erzeugungsanlagen ans Stromnetz angeschlossen werden. Laut Prognosen wird sich die installierte PV-Leistung von aktuell 200 MW auf mindestens 800 MW vervierfachen. Aktuell wird die erzeugte Energie durch den Verbrauch und bestehenden Speicherkraftwerken genutzt, bei einer solchen Steigerung bedarf es jedoch zusätzlicher Speichermöglichkeiten. Die Errichtung oder Erweiterung der Pumpspeicherkraftwerkeist sehr zeit- und geldintensiv. Hier können die E-Autos, parallel zu großen stationären Batteriespeicheranlagen, die Speicherkapazität schrittweise erhöhen. Ein Durchschnitts-Auto fährt im Schnitt nur fünf Prozent vom Jahr und hat die restlichen 95 Prozent Standzeiten. Für mich ist hier ein logischer Schritt, die verfügbaren Batterie-Kapazitäten zu clustern und im Speichersystem mitzudenken. Da die Fahrzeuge überall verteilt sind, sind auch wir als Netzbetreiber sehr an dieser Technologie interessiert. Wenn die Mittagsspitzen der PV-Einspeisung von dezentralen Speichern aufgenommen werden, können Leistungsspitzen im Netz reduziert und ein Abschalten der Anlagen verhindert werden.
lebenswelten: Das heißt es ist ein positiver Trend?
DG: Ja, die Einbindung der mobilen Batteriespeicher bedeutet eine große Chance. Vergleichbar ist das mit der Liberalisierung des Strommarktes. Diese hat bedeutet, dass Energie nur nach Verbrauch produziert wird. Bidirektionalität kann dazu führen, dass Energie nach Verfügbarkeit bzw. den günstigsten Zeitpunkten verteilt, gespeichert oder rückgespeist wird. Dadurch werden die Lastspitzen, die für das Netz eine Herausforderung darstellen, abgeflacht. Die Frage ist, wer die Software, die das Ganze steuern kann, entwickeln wird: Energielieferanten? Netzbetreiber? Autohersteller? Eher nein – ich gehe davon aus, dass es ein Start-up sein wird, das hier den Durchbruch schafft. Es braucht jemanden, der sich drüber traut, also einfach mal anpackt!
lebenswelten: Was würde es für E-Fahrzeugbesitzer:innen bringen?
DG: Gerade die Funktion als Heimspeicher wird hier einen Anreiz schaffen. Herkömmliche Speicheranlagen sind gerade im emotionalen Diskurs rund um Stromausfälle und Notversorgungen ein großes Thema, jedoch in ihrer Anschaffung unglaublich teuer. Wenn man sich hingegen ein E-Auto besorgt, bekommt man quasi zum Fahrzeug den Heimspeicher direkt ‚dazu geschenkt‘. Sobald es die Infrastruktur ermöglicht, dass ein Energiedienstleister mit Auto und Ladestation kommunizieren kann, kann ein E-Auto, egal wo es angesteckt ist, auch bewirtschaftet werden. Um einen weiteren Anreiz zum ‚Steckenlassen‘ zu schaffen, könnten dafür sehr dynamische Strompreismodelle erstellt werden, wo je nach Uhrzeit bzw. Auslastung der Strom zum Laden mehr oder weniger kostet. Ein spannendes Bild in weiter Zukunft: am Ende des Tages soll es möglich sein, dass die Kund:innen eine Abrechnung für alles bekommen – Energieverbrauch, Einspeisung aus der PV und Speicherbewirtschaftung der mobile E-Auto-Batterie.
lebenswelten: Wie wirkt sich diese Technologie auf unsere Klimaziele aus?
DG: Diese können damit schneller erreicht werden. Es besteht der Wunsch, von Gas und Öl wegzukommen – einerseits für das Klima, andererseits um in der Energieversorgung weniger von den exportierenden Ländern wie Russland abhängig zu sein. Daher muss der Ausbau der erneuerbaren Energieformen stark forciert werden. Dies wiederum bringt Erzeugungsspitzen zu Zeiten in denen sie nicht gebraucht werden, wodurch der Bedarf an Speichern stark ansteigt. Mit den bidirektionale Batteriespeichern der E-Autos kann es gelingen Erzeugungsspitzen gleich vor Ort zu speichern und die Netze zu entlasten. So bleibt das Netz in sich stabil, da entstehende Last- und Einspeisespitzen abgefedert werden. Natürlich muss parallel ein Netzausbau im klassischen Sinne passieren..
lebenswelten: Kann das Stromnetz bereits heute mit bidirektionalem Laden umgehen?
DG: Ist sehe die Entwicklung ähnlich zur E-Mobilität. Es passiert ja nicht von heute auf morgen, sondern wird langsam anlaufen. Bidirektionales Laden ist für das Netz nichts anderes als eine PV-Anlage mit einem Heimspeicher. Irgendwo wird Energie erzeugt, die eingespeichert und zeitversetzt genutzt wird. Grundsätzlich sind eben diese Heimspeicheranlagen nicht Netz-unfreundlich, sondern helfen natürlich entstehende Spitzen abzuflachen. Im klassischen Betrieb ist dieser Speicher bei hoher Erzeugung voll, bevor die Erzeugungsspitze kommt. Hier würde sich durch die gezielte Steuerung der E-Autoseine Möglichkeit der ‚Wegspeicherung‘ und einer Entlastung des Netzes ergeben. Anderenfalls muss künftig zur Spitzenzeiten die eingespeiste Leistung begrenzt werden.
lebenswelten: Welchen Zeithorizont siehst du in der Umsetzung?
DG: Wenn man die Hersteller frägt, dauert das Ganze noch. Wenn man hingegen das Fit for 55 Programm ansieht, muss es recht flott gehen. Bis 2030 haben wir nur mehr sieben Jahre in denen natürlich auch die erneuerbaren Ausbauziele rapide ansteigen, gerade im Bereich der PV-Anlagen. Diese bringen eine gewisse Volatilität in das Stromnetz, die ausgeglichen und die überschüssige Energie in Spitzenzeiten weggespeichert werden muss. Ab 2026 muss meiner Meinung nach das Thema der E-Auto-Batterienutzung als Speicher praktisch nutzbar werden, damit die gesteckten Ziele auch erreicht werden können. Derzeit sind wir in den Startlöchern, das bidirektionale Laden im Netz zu testen.