Biomasse aus dem Ort wird zu Energie für den Ort: Besser als in Radstadt kann die Öko- und Wirtschaftsbilanz bei der Wärmeerzeugung kaum sein. Die Salzburg AG heizt in der Stadtgemeinde gemeinsam mit dem ansässigen Sägewerk nachhaltig und kosteneffizient. Am Beispiel Radstadt zeigt Projektleiter Florian Eckschlager auf, wie der Natur-Wertstoff Biomasse zum Joker für die Wärmewende wird.
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Wenn von Energiewende die Rede ist, denken die wenigsten auf Anhieb an Biomasse. Dabei hat genau dieser Sektor hierzulande mit knapp 40 Prozent den größten Anteil am Gesamtumsatz der Erneuerbaren, wie der österreichische Biomasseverband vorrechnet. Bedeutendster Rohstoff-Lieferant in dieser nachhaltigen Kreislaufwirtschaft ist nach wie vor der Wald, und das mit stattlichem Vorrat: In den letzten 60 Jahren ist das Holzvolumen in Österreichs Wäldern um rund 56 Prozent angewachsen.
Arbeitsplätze schaffen und unabhängiger werden
Arbeitsplätze und Wertschöpfung in den (oft ländlichen) Regionen schaffen und damit gleichzeitig die Abhängigkeit von Energie-Importen reduzieren: Neben dem volkswirtschaftlichen Nutzen glänzt Biomasse mit einer ähnlich positiven CO2-Bilanz wie Sonne und Wind, hat im Vergleich zu diesen Ressourcen aber noch den Vorteil, dass sich die daraus gewonnene Energie in größerem Stil speichern lässt.
Auch die Salzburg AG versorgt mit Biomasse-Heizkraftwerken – wie etwa der im Herbst 2023 eröffneten Anlage Siezenheim II – schon lange weitläufige Einzugsgebiete klimafreundlich und komfortabel mit Fernwärme und Strom. Wenn es darum geht, die ehrgeizige Unternehmensstrategie der DekarbonisierungDekarbonisierung (auch Entkarbonisierung) beschreibt eine Energiewirtschaft, die sich darauf konzentriert, auf lange Sicht gänzlich ohne Kohlenstoff auszukommen. Der hier angestrebte Umstieg auf erneuerbare Energieträger (Sonne,… voranzubringen, schlummert gerade im Heizsektor noch viel Potenzial.
Bioenergie Radstadt spart pro Jahr 1.900 Tonnen CO2 ein
In Radstadt hat die Salzburg AG mit rund 10 Millionen Euro gerade ein Vorzeigeprojekt mit dem örtlichen Sägewerk realisiert. Die beiden Partner stellen in der Pongauer Stadtgemeinde schon seit Jahren nachhaltige Fernwärme bereit und haben nun mit dem neu gegründeten Unternehmen Bioenergie Radstadt die alte, stark belastete Anlage durch ein hochmodernes Heizwerk ersetzt. Verfeuert werden hier Holzabfälle aus dem Sägewerk Kirchner, das selbst wiederum ein Haupt-Wärmeabnehmer ist.
Die neue Anlage ist pünktlich zum Auftakt der aktuellen Heizsaison im Oktober 2024 gestartet. Mit einer Leistung von 5 Megawatt kann sie rund 150 Kund:innen nachhaltig mit Wärme beliefern und spart jährlich rund 1.900 Tonnen CO2 ein. Das Radstädter Heizwerk zeigt eindrucksvoll, wie regionale Wertschöpfung und Klimaschutz Hand in Hand gehen können.
Die Highlights der Anlage, ihre Bedeutung in Sachen Energiewende und generelle Herausforderungen beim Thema Fernwärme schildert Projektleiter Florian Eckschlager im lebenswelten Interview.
Biogene Abfälle direkt vor Ort verwerten
lebenswelten: Die Salzburg AG versorgt Radstadt bereits seit einiger Zeit mit nachhaltiger Fernwärme. Wie kam es zu dem Entschluss, ein neues Heizwerk zu bauen?
Florian Eckschlager: Die Bestandsanlage, die wir dort gemeinsam mit dem Sägewerk Kirchner betrieben haben, wurde in den 1990er Jahren errichtet und hat schon vor längerem ihre Kapazitätsgrenze erreicht. Für unsere bestehenden 114 Kund:innen hat die Leistung zwar noch ausgereicht; in Entwicklungs- und Wohnaufschließungsgebieten wie zum Beispiel der Gaismair-Allee (dort entstand in den vergangenen Jahren eine Wohnanlage mit 60 Einheiten, weitere sind geplant, Anm.) war es aber fraglich, ob wir für neue Abnehmer:innen noch Versorgungssicherheit garantieren können.
Man musste also überlegen: Wie kann´s in Radstadt weitergehen? Die sinnvollste Lösung war, dass gemeinsam eine neue Firma gegründet und die Wärmeversorgung partnerschaftlich abgewickelt wird. Als Brennstoff-Lieferant Nummer 1 war Kirchner dafür natürlich prädestiniert und hatte großes Interesse daran, die biogenen Abfälle aus seinem Sägewerk, also Hackschnitzel und Baumrinde, direkt vor Ort zu verwerten. Die neue Firma Bioenergie Radstadt verkauft die Wärme an die beiden Gesellschafter. Die Salzburg AG verkauft die Wärme weiter, das Sägewerk Kirchner nutzt sie selbst.
Zukunftsfit mit Pufferspeicher
lebenswelten: Was kann das neue Heizwerk?
Florian Eckschlager: Einerseits hatten wir bei dem Projekt die Ambition, das Fernwärmenetz zu erweitern und mehr Kund:innen zu erreichen, andererseits wollten wir eine Anlage bauen, die zukunftsfit ist. Unsere Biomasse-Kesselanlage hat eine thermische Leistung von 5.000 Kilowatt. Zum Vergleich: Ein Einfamilienhaushalt hat im Schnitt rund 15 Kilowatt Anschlussleistung.
Außerdem haben wir eine Anlage zur Effizienzsteigerung installiert, mit der wir Restenergie aus heißen Rauchgasen rückgewinnen. Der Pufferspeicher fasst rund 180.000 Liter. Hier speichern wir heißes Wasser, um damit Spitzen bei den Wärme-Abnahmemengen abzufangen. Das ist zum Beispiel abends, wenn die Leute von der Arbeit nach Hause kommen.
Diese Maßnahmen erhöhen die Leistung der Anlage noch zusätzlich. Derzeit können wir in Radstadt 150 Kund:innen an das Netz anschließen und haben für die Zukunft noch genug Kapazität für weitere Abnehmer:innen.
Wichtiger Beitrag zur emissionsfreien Wärmeversorgung
lebenswelten: Welchen Nutzen hat die Anlage im Hinblick auf die Energiewende?
Florian Eckschlager: Indem wir das Fernwärmenetz erweitern und zusätzliche Kund:innen anschließen, ersetzen wir fossile Energieträger wie zum Beispiel Öl und substituieren, bilanziell gesehen, rund 1.900 Tonnen CO2 – das ist nicht wenig. Das ist nachhaltige Wärmeversorgung, weil hier regional anfallende Biomasse als Brennstoff genutzt wird. Wenn man die Möglichkeit hat, das mit einer ordentlichen Forstwirtschaft zu verbinden, dann ist das ein wirklich sinnvolles Kreislaufsystem.
Mit dem Projekt in Radstadt leisten wir auch einen Beitrag zur Strategie der Salzburg AG, da wir unsere CO2-Emissionen bis 2023 halbieren wollen. Auf jeden Fall ist Biomasse ein wichtiger Teil der emissionsfreien Wärmeversorgung. Mit Sonne und Wind wird viel gemacht, aber man ist halt darauf angewiesen, dass die Sonne scheint oder der Wind weht. Bei Biomasse ist das nicht der Fall, sie ist immer verfügbar. Der große Vorteil von solchen zentralen Anlagen wie in Radstadt ist auch: Sie erreichen einen viel höheren WirkungsgradDer exergetische Wirkungsgrad wird eingeführt, um bei der Beurteilung von Energiewandlern den Wert der beteiligten Energiearten berücksichtigen zu können. Am Beispiel einer Raumheizung werden energetischer… als wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht.
lebenswelten: Was ist mit dem „eigenen Süppchen“ genau gemeint und welche Nachteile hat es?
Florian Eckschlager: Als Beispiel: Ein Ölkessel in einem Einfamilienhaus ist beim Erzeugen von Warmwasser oder Heizenergie an das Nutzerverhalten gekoppelt – manchmal ist der Verbrauch sehr hoch, manchmal niedrig. Wenn ich dagegen zentral erzeuge und eine unterschiedliche Abnehmerstruktur habe – bei einem Hotel oder Restaurant ist der Verbrauch ja ganz anders als im Privatbereich –, dann ergibt sich eine gewisse Glättung, die Anlage muss weniger Teillastspitzen bewältigen.
Außerdem haben wir Skalierungseffekte: Je größer die thermische Leistung (oder der Energie-Output) einer Anlage und je geringer der Teillastbetrieb, desto höher ist ihr Wirkungsgrad. Bei unserem Heizwerk rechnen wir mit einem Gesamtwirkungsgrad – also gerechnet vom Energieinhalt der Biomasse bis zum Verbrauch beim Endkunden – von 86 bis 88 Prozent. Für die bestehenden Gegebenheiten in Radstadt ist das ein sehr guter Prozentsatz.
lebenswelten: Apropos Gegebenheiten vor Ort: Gab es bei dem Projekt spezielle Hürden zu meistern?
Florian Eckschlager: Ja, viele! Durch die Neugründung einer eigenen Firma gab es schon im Vorfeld viel zu klären, auch Grundstücke mussten zusätzlich gepachtet werden, um den ganzen Anlagenpark unterzubringen. Da gibt es neben Gemeinde und Anrainern schon viele Stakeholder, deren Interessen man im Projektumfeld berücksichtigen muss.
Eine Herausforderung beim Bau waren die schwierigen Untergrund-Verhältnisse. Bei den Voruntersuchungen haben wir festgestellt, dass sich das Grundwasser auf sehr seichtem Niveau befindet. Um spätere Setzungen von Gebäuden zu vermeiden, mussten Stahlbetonpfähle 10 bis 12 Meter tief bis in tragfähige Bodenschichten geschlagen werden. Das ist zwar keine Raketenwissenschaft, aber eben mit Kosten verbunden, die man im Projekt unterbringen muss.
Kurze Wege, günstige Preise
lebenswelten: Der Arbeits- und Kostenaufwand hat sich aber dennoch gelohnt?
Florian Eckschlager: Definitiv! Vor allem durch den Nachhaltigkeitsaspekt. Das Sägewerk Kirchner liefert den Brennstoff am Nachbargrundstück, wo er eben anfällt. Dadurch haben wir sehr kurze Transportwege. Und Kirchner hat noch eins draufgesetzt: Da er ohnehin plante, eine neue Maschine zum Sortieren, Abkanten und Entrinden von Rundholz zu installieren, hat er in Abstimmung mit uns die Idee realisiert, den Zerkleinerer dort mit einem Förderband zu verbinden. Das verläuft auf einer Höhe von 7 bis 10 Metern zwischen den Grundstücken, das Hackgut und Rindengemisch wird direkt in unsere Kranhalle abgeworfen. Diese automatisierte Beschickung erspart Lkw-Fahrten und viel Arbeit. Das ist wiederum im Interesse der Bioenergie Radstadt, die exklusiv bei Kirchner einkauft: Wenn der Brennstoff mit weniger Aufwand verbunden ist, kann es einen günstigeren Preis geben.
Lukrative Förderungen für Wärme-Kund:innen
lebenswelten: Günstige Brennstoffpreise sind sicher auch ganz im Sinne der Wärme-Abnehmer:innen. Worüber können sie sich noch freuen?
Florian Eckschlager: Wenn Fernwärme so realisiert wird wie wir das in Radstadt machen – nachhaltig mit Biomasse und mit CO2-Einsparpotenzial – dann können sich Endkund:innen hohe Förderungen von Bund und Land holen. Wenn sie im Zuge der Aktion „Raus aus Öl“ umsteigen und das noch mit anderen Sanierungsmaßnahmen im Haus, zum Beispiel einem Fenstertausch, kombinieren, ist das fördertechnisch wirklich lukrativ. Ein positiver Effekt beim Projekt Radstadt war auch, dass wir bei der Bauausführung viele regionale Firmen beauftragen konnten.
Neue Wärmekonzepte für den ländlichen Raum
lebenswelten: Das klingt alles sehr vielversprechend und ganz so, als könnte Biomasse bei der Wärmewende künftig eine noch wichtigere Rolle spielen. Sollten Fernwärmenetze dann nicht zügiger ausgebaut bzw. auf Bioenergie umgestellt werden?
Florian Eckschlager: Wir haben noch extrem viele mit Erdgas versorgte Gebiete, die Frage ist also klar mit Ja zu beantworten. Im Hintergrund bleibt immer die Kosten-Nutzen-Frage. In der Stadt erschweren und verteuern die vielen versiegelten Flächen den Fernwärmeausbau, auf dem Land ist es die Weitläufigkeit der Gebiete. Das wird immer eine Herausforderung bleiben – Fernwärmekosten fallen nun mal pro Trassenmeter an.
Man hat eben nicht überall eine so ideale Situation wie in Radstadt, wo man ein Heizhaus neben ein Sägewerk bauen und bestehende Infrastruktur nutzen kann. Eine Möglichkeit wäre das Schaffen von Verbundnetzen. So eines gibt es momentan nur in Salzburg-Stadt und Hallein, auf dem Land haben wir kleinere Fernwärme-Strukturen, die sich nur über einzelne Gemeindegebiete erstrecken. Altenmarkt beispielsweise hat auch ein Netz – das ist zwar einige Kilometer von Radstadt entfernt, aber ein nächster Schritt könnte sein, diese beiden Netze zusammenzuschließen.
Die Salzburg AG verfolgt im ländlichen Bereich auch immer wieder Ambitionen, regionale Energiekonzepte umzusetzen. Derzeit ist mit der Tauernwärme GmbH ein größeres Projekt im Pinzgau in der Startphase. Dort wird überlegt, die Wärmeversorgung für mehrere Ortschaften, also überkommunal, komplett neu aufzubauen.
lebenswelten: Tüftelt die Salzburg AG noch an anderen innovativen Konzepten zur Wärmeversorgung?
Florian Eckschlager: In einem meiner nächsten Projekte geht es zentral um eine Fragestellung: Was kann mit überschüssigem Strom gemacht werden? Eine Möglichkeit ist, elektrische Energie mit sogenannten Power-to-Heat-Anlagen in Wärme umzuwandeln. Hier bringt ein Heizstab Wasser auf ein für Fernwärme nutzbares Temperatur-Niveau. Somit kann einerseits Überschussstrom verwertet und andererseits einen Puffer geschaffen werden, um gezielt Spitzen im Fernwärmenetz abzufedern.
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