Netze lassen sich nicht so schnell errichten wie PV-Anlagen. Zugleich sind sie, gemeinsam mit entsprechender Speichertechnologie, eine unverzichtbare Voraussetzung, damit volatile grüne Energie verteilt werden kann. Doch welche Hebel gibt es noch?
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Die entscheidende Zahl zuerst: Damit Österreich das für 2040 angestrebte Ziel Klimaneutralität erreicht, müssen rund 30 Milliarden Euro in den Ausbau der Netze fließen. Denn die begrenzt zur Verfügung stehende Kapazität der Netze ist derzeit einer der größten Bottlenecks, die behoben werden müssen, um die Energiewende zu schaffen. Doch wie skaliert man Netze?
Keine einfache Frage, denn verglichen mit PV-Anlagen, von denen man, einen geeigneten Standort vorausgesetzt, zwar nicht unendlich viele, aber doch jede Menge aufstellen kann, sieht es bei Netzen anders aus. „Netze bestehen aus Erdkabeln, Freileitungen, Trafostationen und Umspannwerken, die über Jahrzehnte von zentralen Erzeugungsanlagen zu dezentralen Verbrauchern bzw. Kund:innen entwickelt wurden. Dezentrale PV-Erzeugungsanlagen stellen das Netz technisch vor geänderte Anforderungen. Diese Herausforderung entspricht zum Teil einem völligen Um-, Aus- und Neubau der Netzstruktur. Durch Digitalisierung und kreative Lösungen unserer Mitarbeiter:innen sind wir dabei, unser Netz wirtschaftlich, effizient und nachhaltig für morgen zu gestalten“, erklärt Johannes Walsberger, Geschäftsführer bei der Salzburg Netz GmbH.
„Netze lassen sich nicht ohne Weiteres skalieren“, sagt Wolfgang Denk, Sprecher von Netz Oberösterreich. Was freilich nicht bedeutet, dass es gar nicht geht.
„Netze skalieren erfordert unter anderem zwei Dinge: neue Leitungen und neue Umspannwerke“, erklärt Kurt Misak, Abteilungsleiter Versorgungssicherheit und operative Energiewirtschaft bei Austrian Power Grid, dem Betreiber des österreichischen Übertragungsnetzes. „Freie Trassen für den Bau neuer Leitungen zu finden, ist allerdings nicht einfach, noch langwieriger sind die darauf folgenden Genehmigungsverfahren.“
Auch die Errichtung neuer Umspannwerke erfordert lange Vorlaufzeiten und ist an eine Reihe von Auflagen und Genehmigungen geknüpft, die erfüllt werden müssen. Und: Es muss dort, wo ein neues Umspannwerk benötigt wird, auch ein passendes Grundstück geben.
Hebel 1 - Umspannwerke ertüchtigen
In wenigen Wochen lassen sich solche Fragen nicht klären. Die Zwischenlösung, damit die Energiewende an Fahrt aufnehmen kann, besteht daher vielfach darin, bestehende Umspannwerke auszubauen, auch wenn das nur einen Teil des Problems lösen kann. Die Energienetze Steiermark wollen zum Beispiel in den kommenden sieben Jahren sechzehn Umspannwerke so ertüchtigen, dass es fast einem Neubau gleichkommt. Dennoch wird es in der Steiermark nötig sein, zusätzlich eine ungefähr gleich große Zahl an ganz neuen Anlagen zu bauen, damit das Netz stabil gehalten und die Versorgungssicherheit gewährleistet werden kann.
Noch mehr Flexibilität benötigen Netzbetreiber, wenn es darum geht, eine Stufe weiter unten für ausreichend Kapazitäten zu sorgen, beim durch den rasanten Zuwachs von PV-Anlagen nötigen Tausch vieler Ortsnetztransformatoren.
Das große Dilemma dabei: Derzeit haben so gut wie alle Hersteller Lieferzeiten von einem Jahr oder mehr. Zugleich scheitert der Versuch, schon jetzt Anlagen oder Komponenten für die kommenden Jahre vorzubestellen, daran, dass die meisten Produzenten solche Aufträge gar nicht annehmen – zum Teil, weil sie nicht genug Material und Manpower haben, zum Teil aber auch, weil sie sich über die zukünftige Preisgestaltung nicht im Klaren sind und lieber abwarten.
„Aktuell bemerken wir Preissteigerungen bei Großtransformatoren von mehr als 300 % bei gleichzeitiger Verlängerung der Lieferzeiten auf bis zu 3 Jahre“, bestätigt Johannes Walsberger, Geschäftsführer der Salzburg Netz GmbH, die schwierige Situation.
Hebel 2 - Flexibel bleiben
Netzbetreibern bleibt daher oftmals nichts anderes übrig, als mit dem vorhandenen Material zu jonglieren. Von einem permanenten Puzzlespiel spricht in diesem Zusammenhang Wolfgang Denk von Netz Oberösterreich: „Wenn wir wissen, dass an einem Standort, wo derzeit ein Transformator der Leistungsklasse drei steht, ein Tausch auf einen Transformator der Klasse eins nötig wäre, wir ihn aber derzeit nicht bekommen, stehen wir vor der Entscheidung, dort als Zwischenlösung einen Transformator der Klasse zwei hinzustellen oder den Transformator der Klasse zwei gleich dort zu montieren, wo er länger bleiben kann.“ Dieses Muster wiederhole sich immer wieder.
„Trotz flexibler Mitarbeiter:innen werden kurzfristige Anpassungen der Leistungen oft durch Ressourcenengpässe gebremst. Frühzeitige Bestellungen und angepasste Lagerhaltung (Transformatoren und Stromkabel) verursachen zusätzliche Kosten“, stellt Herwig Struber, Geschäftsführer Salzburg Netz GmbH die Lage dar.
Hebel 3 - Netzdienliche Speicher zulassen
In Ortsnetzen könnten die Leitungen immerhin durch den Einsatz von sogenannten netzdienlichen Speichern entlastet werden, die man an ausgewählten Punkten im Netz einbaut. Ist zu viel Energie im Netz, können solche Speicher als Puffer dienen, um eine drohende Verletzung von Spannungsgrenzwerten zu verhindern. Später kann die Energie vom Speicher entnommen und wieder eingespeist werden. „Es wäre absolut sinnvoll, wenn Netzbetreiber solche Speicher betreiben dürften. Rechtlich ist das derzeit aber leider abseits von einigen Pilotprojekten nicht möglich“, sagt Franz Strempfl, Spartensprecher Netze bei Oesterreichs Energie.
„Seitens der Salzburg Netz GmbH beobachten wir den Speichermarkt sehr genau und sind in diesem Zusammenhang nicht nur mit heimischen, innovativen Batteriespeicherproduzenten in Kontakt. Dezentrale Speicher werden aus heutiger Sicht, nicht nur aufgrund der dezentralen Erzeugungsanlagen, sondern jedenfalls auch aufgrund der Anforderungen durch die E-Mobilität, einen wesentlichen Beitrag für einen versorgungssicheren Netzbetrieb leisten“, bestätigt auch Johannes Walsberger von der Salzburg Netz GmbH die Notwendigkeit von netzdienlichen Speichern.
Hebel 4 - Spitzenlastkappung
Als eine schnell wirkende Entlastung für die Netze wird immer wieder auch die Spitzenlastkappung diskutiert. Aktuell müssen Netzbetreiber ihre Netzkapazität auf die maximale Engpassleistung des Wechselrichters auslegen und diese Leistung im Netz reservieren. Doch im Regelfall wird diese nominale Spitzenleistung nie erreicht. Die Anlage erzielt ihre Höchstleistung nur wenige Stunden im Jahr. Würde man die Spitzenleistung von 10 kWp-Anlagen um 20 Prozent auf 8 kWpKilowatt-Peak (kWp) ist eine wichtige Kennzahl, die ausschließlich zur Angabe der Leistung von Photovoltaikanlagen unter Standard-Testbedingungen (STC = standard test conditions) verwendet wird.Die Leistung eines… kappen, würde die Erzeugung über das Jahr hinweg zwar um wenige Prozent sinken, doch der große Vorteil wäre: Ein Ortsnetz könnte dann deutlich mehr PV-Anlagen aufnehmen, bevor es ausgebaut werden müsste.
„Spitzenlastkappung ist eine kurzfristige Lösung um technische Herausforderungen zu bewältigen. Die Mitarbeiter:innen der Salzburg Netz GmbH bemühen sich jedoch vorrangig, die Erzeugungsanlagen der Kund:innen nicht einzuschränken, sondern die notwendigen Netzkapazitäten nach Können und Vermögen so rasch wie möglich herzustellen. Neben konventionellen Investitionen in die Netzerrichtung soll vor allem auch die Digitalisierung unseres Netzes Optimierungen ohne Einschränkungen bringen.“, erklärt Herwig Struber von der Salzburg Netz GmbH.
Die Möglichkeit der Spitzenlastkappung ist ein wichtiges Vorhaben, das Netzbetreiber in der fünften Regulierungsperiode durchgesetzt sehen möchten. Wie überhaupt anzumerken ist: Aus der Sicht der Netze wird diese Periode über die Zukunft der Energiewende entscheiden. Gelingt es, die Weichen richtig zu stellen, ist die Erreichung der Ziele für 2030 und 2040 möglich.
„Die Ausbauziele bis 2030 lassen sich im Stromnetz abbilden, auch wenn das nur mit massiven Ausbautätigkeiten zu schaffen sein wird“, sagt Netze-Spartensprecher Strempfl. „Wenn wir die Ziele von 2040, also die vollständige DekarbonisierungDekarbonisierung (auch Entkarbonisierung) beschreibt eine Energiewirtschaft, die sich darauf konzentriert, auf lange Sicht gänzlich ohne Kohlenstoff auszukommen. Der hier angestrebte Umstieg auf erneuerbare Energieträger (Sonne,…, erreichen wollen, bedeutet das zumindest eine nochmalige Verdopplung dessen, was wir bis 2030 schaffen müssen. Hierzu muss über das Stromsystem hinaus gedacht werden und die Sektorenkoppelung, also die Verknüpfung mit den Gas- bzw. Wasserstoff- und Wärmenetzen, vorangetrieben werden.“
Hebel 5 - Kapazitäten aufbauen, wo immer es geht
Als Voraussetzung dafür, dass die Netze den massiven Ausbau der erneuerbaren Energie verkraften können, sind bis zum Jahr 2040 rund 30 Milliarden Euro an Investitionen nötig. Bereits bis 2030 müssen, um im Zeitplan zu bleiben, 200 neue oder verstärkte Umspannwerke errichtet werden. Es wird bis dorthin rund 12.000 neue Transformatoren brauchen und auch rund 40.000 Kilometer an neuen Leitungen. Weshalb Spartenobmann Strempfl für die kommende Regulierungsperiode mehr Investitionsanreize fordert und die Abdeckung der erhöhten Betriebskosten, die durch die gestiegene Zahl der Netzanschlüsse entstanden sind.
Die Branche hofft aber auch, in Zukunft keine Diskussionen mehr über vermeintliche Überkapazitäten führen zu müssen. Bislang hatten Netzbetreiber die Vorgabe, möglichst keine Kapazitäten auf Vorrat aufzubauen. Entstanden solche doch, war der Vorwurf von Überkapazitäten schnell zur Hand. „Angesichts der Wichtigkeit der Netze für die Zukunft wird es in absehbarer Zeit keine überflüssigen Kapazitäten mehr geben“, urteilt Wolfgang Denk von Netz Oberösterreich.
„Die Zeiten, in denen man über die vergoldeten Netze gesprochen hat, sind längst vorbei. Wir haben Jahrzehnte vom Weitblick unserer Vorgänger gezehrt und Kosten optimiert. Aktuell haben unsere Mitarbeiter:innen größte Mühe, unsere Netzkapazitäten für die Energiewende fit zu machen. Allein die Salzburg Netz GmbH plant in 10 Jahren 10 neue Umspannwerke. Volatile Investitionszyklen sind für ein stabiles und sicheres Infrastrukturnetz ungeeignet und verursachen hohen Ressourcenaufwand“, bestätigt Johannes Walsberger von der Salzburg Netz GmbH.
Zudem kommt: Ein punktuelles Zuviel, sollte es denn je entstehen, ist in der aktuellen Situation allemal verträglicher als ein Zuwenig. Das hat jedenfalls eine aktuelle Studie von Frontier Economics gezeigt. „Die volkswirtschaftlichen Folgekosten einer Unterdimensionierung der Netze übersteigen das volkswirtschaftliche Risiko einer Überdimensionierung deutlich“, resümiert Studienautor Aria Rodgarkia-Dara.
Dieser Beitrag wurde von Oesterreichs Energie, der Interessensvertretung der österreichischen E-Wirtschaft, zur Verfügung gestellt. Ergänzt wurden die Einschätzungen der Situation seitens der Salzburg Netz GmbH. Er ist zuvor in den in der StromLinien erschienen. Den Artikel zum Nachlesen in voller Länge findest du hier.
Oesterreichs Energie hat zudem mit Unterstützung der heimischen Verteilernetzbetreiber eine Karte der Netzkapazitäten als Orientierungshilfe für Anlagenbetreiber erstellt und veröffentlicht. Hier geht es zur Karte.