Neben all seinen Schätzen ist das Salzkammergut seit Dezember um ein besonderes Juwel reicher: Die zum ErlebnisQuartier umgebaute Talstation der Schafbergbahn ist laut UNESCO der „schönste Personenbahnhof der Welt“. Mit Architekt Michael Höcketstaller werfen wir einen Blick hinter die Fassade des Bauwerks, das 2024 mit dem prestigeträchtigen „Prix Versailles“ ausgezeichnet wurde.
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Kennen Sie den Beruf Sesselträger? Der hatte im Salzkammergut des 19. Jahrhunderts Hochkonjunktur, als bei den Städtern die Sommerfrische in Mode kam. Der Gipfelaufstieg war den noblen Herrschaften zu beschwerlich, also ließ man sich in einer Art Sänfte auf den Schafberg hochtragen.
Ab dem Sommer des Jahres 1893 hatten die Sesselträger ausgedient: Damals erreichte die erste Lokomotive der neu gebauten Schafbergbahn die Bergspitze, die auf 1.783 Metern einen atemberaubenden Panoramablick auf die umliegenden Seen, vom Böhmerwald im Norden bis zu den Alpen im Süden gewährt. Die legendäre Z 1-Lok der steilsten Zahnradbahn Österreichs ist in der Talstation aktuell noch immer zu bestaunen. Sie schlägt die Brücke zur Tradition in dem modernen Gebäude, das die Salzburg Tourismus GmbH, eine Tochter der Salzburg AG, als Betreiber von Bahn und Wolfgangsee-Schifffahrt in zweijähriger Bauzeit errichtet und 2023 eröffnet hat.
Der neue Name „ErlebnisQuartier“ ist in der Talstation, die sich trotz der modernen Bauweise harmonisch ins ländliche Umfeld einfügt, Programm – vereint sie doch auf kleinstem Raum in einer lichtdurchfluteten Halle eine Vielzahl an Funktionen: vom Bahnhof und Ticketschalter über Shop und Veranstaltungsbereich bis zum Restaurant inklusive Terrasse mit beeindruckender Aussicht auf den Wolfgangsee.
„Energieautarkes Haus“ durch nachhaltige Bauweise
Bei diesem Bauprojekt wurde der Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit und regionale Wertschöpfung gelegt. Das spiegelt sich unter anderem in dem enormen Holzanteil des ErlebnisQuartiers wider, das Energie über eine vollflächige Photovoltaik-Anlage (160 kW peak) auf dem Dach und Erdwärme-Kollektoren bezieht. „Dadurch wird es an einem normalen Sommertag zu einem energieautarken Haus“, erklärt Mario Mischelin, „Hausherr“ und Geschäftsführer der Salzburg Tourismus GmbH.
Mit noch mehr Stolz erfüllt Mischelin und DI Michael Höcketstaller, der das ErlebnisQuartier mit seiner dunkelschwarz ZT GmbH geplant hat, dass das Gebäude Ende 2024 die „Goldmedaille bei der Weltmeisterschaft der Architektur“ eingeheimst und damit internationale Würdigung erfahren hat. Der sogenannte „Prix Versailles“ gilt als eine der weltweit höchsten Auszeichnungen für Architektur und Design und wird von der UNESCO für Bauwerke vergeben, die nicht nur ästhetisch, sondern auch gesellschaftlich und ökologisch eine herausragende Bedeutung haben.
Im lebenswelten-Interview erzählt Michael Höcketstaller, warum die Schafbergbahn-Talstation nun offiziell als „schönster Personenbahnhof der Welt“ gilt und sich im UNESCO-Architekturwettbewerb gegen Starprojekte aus New York, Peking und Melbourne durchsetzen konnte.
lebenswelten: Die Salzburg Tourismus GmbH hat den Neubau der Schafbergbahn-Talstation inklusive Umgestaltung zum ErlebnisQuartier EU-weit ausgeschrieben. Mit welchen Schlüsselelementen konnte Ihr Konzept überzeugen?
Michael Höcketstaller: Die Ausschreibung war sehr groß und professionell angelegt. 54 Teilnehmer:innen haben ein Projekt abgegeben, es gab demnach eine entsprechende Bandbreite an Lösungsansätzen. Die Aufgabe war anspruchsvoll, weil für das vorgegebene Raumprogramm nur ein sehr kleiner Bauplatz vorhanden war. Es galt sehr unterschiedliche Teilbereiche in einem Gebäude zu kombinieren, ohne dass diese sich gegenseitig negativ beeinflussen. Ein Schlüsselelement war sicher, dass sich diese Besucherströme in unserem Konzept nicht überkreuzen. Der zentrale Tresen in der Halle spielt dabei eine große Rolle, die einzelnen Bereiche zonen sich rundherum auf. Hier kauft man ein Ticket, kommt in den Shop und auch die Treppe ins Restaurant führt direkt vom Tresen weg.
Ausflugsziele See und Berg immer im Blick
lebenswelten: Neben diesem funktionellen Aspekt: Mit welchen Highlights konnte Ihr Design punkten?
Michael Höcketstaller: Die Salzburg Tourismus GmbH verbindet in St. Wolfgang zwei Funktionen, die Bergfahrt und die Schifffahrt; das Bauwerk soll diese beiden Teile des Betriebs in sich vereinen. Wir haben das Gebäude weitgehend in Glas aufgelöst. Das großflächige Sheddach mit seinen Glasöffnungen gibt den Blick auf den Berg frei, die Restaurant-Terrasse zum See hin. Das heißt, als Besucher:in hat man beide Ausflugsziele immer im Blick.
Wichtig ist auch, wie ein einzelner Baukörper auf sein Umfeld reagiert. Uns war wichtig, eine Kommunikation zwischen dem großen Bahnhofsgebäude und der eher klein strukturierten Umgebung aufzubauen. Wir haben diese große Baumasse so strukturiert, dass das Gebäude kleiner wirkt.
lebenswelten: Wie haben Sie planerisch den Spagat zwischen der Funktionalität eines modernen Bauwerks und der Schafbergbahn mit ihrer über 130-jährigen Historie bewältigt?
Michael Höcketstaller: Es ist immer eine schwierige Aufgabe, moderne Architektur, die ja eine zeitgemäße Neuinterpretation sein soll, in einem ländlichen Umfeld zu implementieren. Dazu braucht es einen Dialog, es darf keinen Kontrast geben. Wir befinden uns in St. Wolfgang auch in einem grünen Umfeld, in einem Naturschutzgebiet. Daher haben wir die Oberflächen der Fassade so eingefärbt, dass sie sich gut in das ländliche Umfeld einbetten. Durch die kleinteilige Struktur sticht das Gebäude nicht stark heraus. In einem Artikel über das Projekt hat es der Autor so beschrieben, dass diese lichtdurchflutete Halle wie ein Bahnhofsgebäude in den besten Zeiten wirkt, diese Typologie wiederbelebt und zu altem Glanz geführt hat.
lebenswelten: Zum Innenleben: Wodurch wird der Bahnhof für die Besucher:innen zu einem ErlebnisQuartier?
Michael Höcketstaller: Die Multifunktionalität ist sicher eine weitere Besonderheit dieses Gebäudes. Der Bahnhof mit dem Ticketing, der Shop, ein Veranstaltungsbereich sowie ein Restaurant: Uns war ein Anliegen, all das in einem Raum, in einer großen Halle zu lösen, damit die Großzügigkeit nicht verloren geht. Durch die intuitive Wegeführung ist schon beim Hereinkommen das gesamte Angebot zu erkennen.
Der andere Aspekt ist die Materialität. Einerseits war uns wichtig, dass der Charakter des Bahnhofsgebäudes zur Geltung kommt, da spielen harte Materialien wie Stahl oder Beton eine Rolle. Andererseits sollten hier auch ein Restaurant oder ein Veranstaltungsraum funktionieren. Dazu braucht es atmosphärische Elemente und wärmere Materialien wie Holz oder akustisch aktivierte Oberflächen. Dieser Materialmix macht die besondere Atmosphäre aus und ermöglicht das Nebeneinander unterschiedlicher Funktionen.
lebenswelten: Konnten bei der Gestaltung auch Menschen aus dem Ort – Anrainer:innen, Gemeinde – Einfluss nehmen?
Michael Höcketstaller: Der Bürgermeister war bei der Jurysitzung dabei und hatte auch ein Mitspracherecht, es gab aber keine Bürgerbeteiligung. Das wäre auch nicht möglich gewesen, weil es wegen der schwierigen Rahmenbedingungen nicht viel Bewegungsspielraum gab. Es waren wirklich sehr spezielle Lösungsansätze für die Realisierung notwendig. Wir haben ja direkt am See gebaut, das heißt, auch die Grundwasser-Situation hat eine Rolle gespielt, die Gleisanbindung, der Naturschutz. Aber natürlich habe ich mich dann trotzdem erkundigt, wie das Gebäude im Ort bzw. in der Nachbarschaft aufgenommen wird.
Feedback im Ort durchwegs positiv
lebenswelten: Und? Wie war das Feedback?
Michael Höcketstaller: Durchwegs positiv! Man mag vielleicht denken, dass diese moderne Architektur für die ältere Generation schwerer nachvollziehbar ist, aber das ist ganz und gar nicht so. Man muss auch den Vergleich sehen: Das vorherige Gebäude war schon sehr in die Jahre gekommen, das neue Gebäude hat den Standort stark aufgewertet. Es bietet jetzt mit dem neuen Restaurant auch eine gute Infrastruktur für die Anrainer:innen, das ist sicher wertvoll für das Umfeld. Nachhaltig zu bauen bedeutet auch, dass ein Gebäude eine möglichst lange Betriebsdauer hat. Diese kann ich nur gewährleisten, wenn das Gebäude gut funktioniert und im Umfeld akzeptiert und angenommen wird.
Nachhaltige Energieformen genutzt
lebenswelten: Stichwort Nachhaltigkeit: Dieser Aspekt spielt für die Salzburg Tourismus GmbH immer eine zentrale Rolle. Wie haben Sie diese Vorgabe umgesetzt?
Michael Höcketstaller: Wir haben mehrere der heute verfügbaren technischen Möglichkeiten zur Nutzung nachhaltiger Energieformen eingesetzt. Dazu zählt die Photovoltaik-Anlage, die vollflächig auf dem Sheddach angebracht ist – das bietet sich natürlich an, weil alle Dachelemente nach Süden orientiert sind. Dann haben wir vollflächig unter dem Gebäude mehrschichtig Erdwärme-Kollektoren vorgesehen und zusätzlich eine thermisch hochwirksame Gebäudehülle errichtet. Dadurch hat man nicht nur eine tolle Aussicht, sondern auch im Gebäudeinneren zu jeder Tageszeit ausreichend natürliches Licht. Tagsüber gibt es kaum Bedarf an künstlicher Beleuchtung.
All diese Faktoren tragen dazu bei, dass das Gebäude eigentlich – abseits des zusätzlichen Energiebedarfs für die Werkstätten und den Betrieb der Schafbergbahn – energie-autark funktionieren kann.
lebenswelten: Konnte das Projekt auch regionale Wertschöpfung generieren?
Michael Höcketstaller: Natürlich war neben der fachlichen Qualifikation ein Aspekt bei der Auftragsvergabe, dass Firmen aus der Region zum Einsatz kommen. Das hat zu einer guten Kommunikation während des Bauprozesses beigetragen, zum Beispiel auch, wenn man auf diverse Umstände kurzfristig reagieren musste.
Warum ein Modeschöpfer in der Architektur-Jury sitzt
lebenswelten: Das ErlebnisQuartier wurde Ende 2024 mit dem Prix Versailles der UNESCO für die herausragende architektonische Leistung prämiert. Die internationale Jury hat das Bauwerk für „die harmonische Verbindung von Kreativität, Tradition, Innovation und ökologische Effizienz“ gelobt, mit der es „die Umgebung außergewöhnlich prägt“. Welchen Stellenwert hat diese Auszeichnung in der Architekturszene?
Michael Höcketstaller: Der Prix Versailles ist sicher ein ganz spezielles Format. Daran, dass er von der UNESCO verliehen wird, merkt man schon, dass eine tiefgreifendere Bedeutung mitschwingt. Dieser Preis unterscheidet sich von anderen Formaten durch den internationalen Charakter und den breiten Blick. Der Schwerpunkt liegt zwar auf der Architektur, man betrachtet ein Gebäude aber auch im Kontext seiner Nutzung, seines Umfelds, seiner Implementierung in die örtliche Kultur. Deshalb sind in der Jury nicht nur Architekten, sondern – je nach Art des Gebäudes – zum Beispiel auch Köche oder Modedesigner.
Gegen New York und Peking behauptet
lebenswelten: Was bedeutet es für Sie persönlich, den „schönsten Personenbahnhof der Welt“ entworfen zu haben?
Michael Höcketstaller: Es ist nicht so, dass man dort ein Projekt einreicht – die sind von ganz allein auf das Gebäude aufmerksam geworden, und das ErlebnisQuartier konnte sich in einem sehr außerordentlichen Feld behaupten. Andere nominierte Projekte waren etwa die Grand Central Station in New York, ein Bahnhof in Melbourne, in Peking, Neapel – also Weltstädte und riesige Projekte. In der Jury waren Stararchitekten der ganzen Welt vertreten wie Daniel Libeskind, Sou Fujimoto oder David Adjaye. Das hat schon eine herausragende Bedeutung und ist wirklich eine Ehre, diesen Preis zu gewinnen.
lebenswelten: Können auch das ErlebnisQuartier und die Region Ihrer Ansicht nach vom weltweit angesehenen Prix Versailles profitieren?
Michael Höcketstaller: Ich denke, dieses Gebäude kann über die Funktionalität hinaus noch mehr leisten, es arbeitet mit der Landschaft und ist ein Beitrag zur örtlichen Kultur. Das heißt für mich einfach: Verantwortung übernehmen. In diesem Sinne kann man sehr positiv sehen, was die Salzburg Tourismus GmbH hier realisiert hat. Man hat es sich nicht einfach gemacht – das begann schon bei der internationalen Ausschreibung und reichte bis zur Umsetzung; trotz der Probleme in der Bauzeit (Anm.: während der Corona-Pandemie) hat man an dem Konzept festgehalten und es wie geplant umgesetzt.
„Schon das Ankommen ist ein Erlebnis“
lebenswelten: Haben Sie selbst auch schon als privater Gast die Annehmlichkeiten des ErlebnisQuartiers genossen?
Michael Höcketstaller: Ja, natürlich! Ich bin ja gebürtiger Salzburger und habe den Schafberg schon vor dem Bauprojekt in wandernder Art und Weise erklommen, bin aber auch mit der Bahn gefahren. Durch das Projekt hat sich der persönliche Bezug natürlich intensiviert. Auch nach dem Bauprozess war ich schon oft dort, weil ich das einfach sehr genieße. Wir fahren dann meistens schon von St. Gilgen mit dem Schiff rüber und steigen direkt bei der Talstation aus – allein das Ankommen ist für mich schon ein Teil des Erlebnisses. Ich mag auch diese Verbindung von Berg und See und genieße den Aufenthalt auf der Terrasse. Obwohl der persönliche Blick natürlich gefärbt ist, denke ich, das Gebäude ist wirklich sehr gelungen!
Infos zur dunkelschwarz ZT GmbH, die das ErlebnisQuartier in St. Wolfgang geplant und umgesetzt hat:
DI Michael Höcketstaller (40) hat das in Salzburg-Stadt ansässige Architekturbüro dunkelschwarz ZT GmbH mit den zwei weiteren Geschäftsführern DI Erhard Steiner und DI Hannes Sampl 2019 gegründet. Neben dem ErlebnisQuartier hat das Trio bereits etliche weitere Preise für Planungsprojekte verbucht, die Schafbergbahn-Talstation „war aber unser erster Wettbewerbsgewinn und das bis dahin größte Projekt, das wir bearbeitet haben“, so Höcketstaller.
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