Beim diesjährigen Netzwerktreffen von „#DIEzukunft trifft“ drehte sich alles um die in Hallein geborene Autorin Mareike Fallwickl. In einem ganz besonderen Formatmix aus Impulsvortrag und Lesung aus ihrem Bestseller „Die Wut, die bleibt“ hat sie das Publikum auf einfühlsame Weise inspiriert, über bestehende Strukturen und Systeme nachzudenken.
Inhaltsverzeichnis
Das Salzburg AG Programm für Chancengleichheit bot Anfang Oktober den Rahmen für spannende Exkurse rund um die Themen Gender Pay Gap, Care-Arbeit und Gendergerechtigkeit. Mareike Fallwickl beschreibt in ihrem Werk auf eindrucksvolle Weise, wie Frauen in der Gesellschaft und Arbeitswelt positioniert sind. lebenswelten hat gemeinsam mit der Autorin zu diesen Themen gesprochen und dabei einen „entlarvenden“ Blick auf unsere Gesellschaft geworfen, mit Fokus auf die Arbeitswelt. Dabei wurden auch gemeinsam die Möglichkeiten für eine hoffnungsvolle Zukunft diskutiert.
Rollenbilder und Care-Arbeit
lebenswelten: Wie hat sich deiner Ansicht nach die Rolle von Frauen in der Arbeitswelt in den letzten Jahrzehnten verändert?
Mareike: Frauen haben schon immer gearbeitet, doch erst heute haben sie Chancen auf höhere Bildungsabschlüsse. Sie erobern sich zunehmend Berufsfelder, die früher von Männern dominiert wurden. Das eröffnet selbstverständlich neue Möglichkeiten und Chancen. Doch gleichzeitig bleibt das Thema Care-Arbeit (Sorgearbeit wie etwa Kindererziehung, Pflege, Haushalt und vieles mehr) oftmals bei den Frauen verhaftet. Das führt dazu, dass sie sich in einer doppelten Vergesellschaftung wiederfinden und im Schnitt 98 Stunden pro Woche arbeiten. Und das inkludiert keinesfalls „nur“ Mütter. Frauen leisten in unserer Gesellschaft unglaublich viel – Großteils unbezahlte – Care-Arbeit: für Kinder, für Männer und zur Unterstützung anderer Frauen.
Ich bin überzeugt, dass sich hier viel verändern wird. Wenn ich mit Teenagern zwischen 15 und 18 Jahren arbeite, sind diese Themen bereits bekannt. Wenn sich Frauen aus dieser Generation vollkommen auf sich selbst und ihre Lebensziele und Karrierewege konzentrieren, kann sich hier einiges tun.
Frauen in Unternehmen
lebenswelten: Wie können Unternehmen dennoch versuchen, eine inklusivere Umgebung zu schaffen, die Frauen im Berufsalltag unterstützt?
Mareike: Es ist erschütternd, wie schlecht Unternehmen auf die Veränderungen vorbereitet sind. Die Strukturen in vielen Betrieben sind unglaublich männlich geprägt. Sowohl in der Ausgestaltung als auch in der Verteilung der Entscheidungsstellen muss dringend etwas geändert werden. Es muss mehr direkte Kommunikation mit den Mitarbeiterinnen geben, um herauszufinden, was sie tatsächlich benötigen. Wir müssen über die Strukturen sprechen, damit die Vereinbarkeit gelingt. Wir müssen über die Teilzeit sprechen, wie sie gestaltet sein muss. Wir müssen über Termine sprechen, wie sie organisiert sind. Wir müssen über Anreize sprechen, damit Frauen in die Führungsebene kommen. Bedürfnisse müssen ehrlich und aus den Augen jener beschrieben werden, die sie leben. All diese Gespräche sind zentral, um nachhaltig etwas zu verändern.
Ich erlebe oft, dass Unternehmen Stellenausschreibungen vermeintlich präferiert an Frauen adressieren. Diese bewerben sich dann jedoch nicht, da sich die Bedingungen nicht mit einem weiblichen Blick auf bestehende Bedürfnisse decken. Hierfür gibt es inzwischen zahlreiche Workshops und Seminare, die – wenn die Führungsebene dafür offen ist – wirklich Veränderung bringen.
lebenswelten: Das heißt es braucht deutlich mehr Aufklärung in den Unternehmen?
Mareike: Ja, wir brauchen mehr Bewusstseinsbildung. Es gibt bereits tolle Maßnahmen wie die Väterkarenz, die es zu fördern gilt. Mit nur 16 Prozent ist Österreich hier jedoch das europäische Schlusslicht. Als Mann wirst du von deinen Kollegen und Freunden vielleicht auch noch blöd angeredet, wenn du dich dafür entscheidest. Es wirkt auf viele – speziell Männer – einfach „fremd“, wenn ein Teamkollege diesen Weg geht. In Skandinavien hingegen liegt die Quote jener Väter, die dieses Angebot annehmen, bei fast 98 Prozent. Da ist es ein Unding, wenn du nicht in Karenz gehst. Die Gesellschaft hat hier eine andere Sichtweise erlangt und forciert diese auch. Ein Punkt, der natürlich eine zentrale – aktuell bremsende – Rolle spielt, ist der Gender Pay Gap.
Gender Pay Gap und geteilte Karenz
lebenswelten: Bedeutet der Gender Pay Gap erschwert die Karenzteilung und damit auch die Chancen von Frauen im Job zu bleiben?
Mareike: Selbstverständlich. Es ist in der aktuellen Arbeitswelt schlichtweg nicht möglich, von Familien pauschal zu verlangen, dass sie sich die Erwerbstätigkeit gleichberechtigt aufteilen. Vor allem, wenn man die Tatsache bedenkt, dass Männer aufgrund des Gender Pay Gaps oftmals deutlich mehr verdienen. Es ist ökonomisch nicht sinnvoll. Ich verstehe jede Familie, die beim „traditionellen“ Modell bleibt, denn sie würde viel Geld verlieren. Erst wenn die Lücke verringert ist oder eine Gleichstellung erfolgt, kann über generelle Maßnahmen wie eine verpflichtende Karenzteilung nachgedacht werden. Derzeit wird das gesellschaftliche Problem fehlender Betreuungsmöglichkeiten in den privaten Raum abgeschoben. Das müssen Familien schon selbst lösen! Doch wenn wir als Gesellschaft weiter fortbestehen wollen, brauchen wir Kinder und dafür Menschen, die sie gebären und großziehen.
Deshalb muss man einen großen Schritt zurück machen, sich anschauen, wer wie viel Zeit mit welcher Art von Arbeit verbringt, wie viel Wert diese Arbeit für unsere Gesellschaft hat und wie man das monetisieren kann. Viele sehen ein Problem darin, dass wir gelernt haben, sich um Kinder zu kümmern, ist Liebe und dafür kann man kein Geld verlangen. Aber wir müssen hier ein faireres Ausgleichssystem schaffen, das wäre ein guter Schritt.
lebenswelten: Die Karenz bedeutet aktuell einen großen Einschnitt in die Karriere der Frauen. Könnte ein finanzieller Ausgleich hier für mehr Gerechtigkeit sorgen?
Mareike: Ich bin überzeugt, dass der „Dämpfer“ für beide Seiten sehr klein wäre, wenn die Zeit aufgeteilt würde. Die Realität sieht so aus: Frauen erleben einen massiven Einkommensverlust, der selbst zehn Jahre nach der Geburt des Kindes noch bei über 50 Prozent liegt. Das können sie nie wieder herein verdienen, nie wieder aufholen. Doch wenn man das aufteilt, ist dieser große Nachteil für Frauen nicht mehr so stark. Und es bricht auch mit der Mentalität, die wir aktuell gesellschaftlich haben und die wir Männern vermitteln. Und zwar, dass auf sie nicht verzichtet werden kann, das wäre der Untergang! Frauen hingegen wird vermittelt, dass sie absolut austauschbar sind und es egal ist, ob sie 20 oder 10 Stunden oder einfach gar nicht aus der Karenz zurückkommen.
lebenswelten: Welche Schritte könnten nun gesetzt werden, um diese Ungleichheiten aufzubrechen?
Mareike: Ein Punkt ist natürlich die vieldiskutierte Gehaltstransparenz. Denn in der Tat heißt es immer, dass wir diese Transparenz nicht haben, damit Frauen nicht draufkommen, wie viel weniger sie verdienen. Es existieren ja Berufssparten, in denen das offen liegt, etwa beim Magistrat. Dort gibt es das Gehalt in fixen Stufen und daher keinen Pay Gap. Außerhalb dieser sehr wenigen spezifischen Felder müssen Frauen sich jedoch anders helfen. Ich bin etwa in einem Netzwerk von Journalistinnen und Autorinnen, bei denen wir uns gegenseitig dabei unterstützen, in der Branche Fuß zu fassen, unseren Wert zu erkennen und uns in unserer Verhandlungshaltung zu bestärken.
Eine Frauenquote ist ein notwendiger Anfang, um Frauen in Positionen zu bringen, in die sie aufgrund der Strukturen nicht kommen. Das hat nichts mit Leistung oder Qualifikation zu tun, sondern schlichtweg damit, dass Männer vom bestehenden System profitieren. Es ist schwer, zu erreichen, dass Menschen freiwillig auf Privilegien verzichten. Es ist an der Zeit, das Thema konsequent durch zuziehen und diese Positionen in Parität aufzuteilen. Bei zehn Positionen wären das fünf Männer und fünf Frauen. So wäre die Bevölkerung viel besser abgebildet. Die Quote schafft Sichtbarkeit und Zugang. Sie hilft, den Grundstein für eine natürliche Repräsentation von Frauen in diversen Bereichen zu legen. Dann wird es diese Quoten nicht mehr brauchen.
Repräsentation und Diversität
lebenswelten: Du sprichst in deinen Büchern auch viel über Repräsentation und die Macht, die diese für die Lebensrealitäten hat. Kannst du das erklären?
Mareike: Das ist ein zentraler Punkt, und darüber müssen wir unbedingt sprechen. Wir Menschen umgeben uns am liebsten mit jenen, die uns selbst ähnlich sind. Diese über viele Jahre eingefahrenen Strukturen führen dazu, dass sich gerade auf Management-Ebene oder in gewissen Berufssparten Räume ergeben haben, die sehr männerdominiert sind. Es fehlen die repräsentativen Figuren für Frauen. Mädchen müssen in Vorständen, in der Wissenschaft und auch in Kinderserien eine volle Repräsentation und Vielfalt an Möglichkeiten sehen, um sich im eigenen Leben für diese Felder zu entscheiden. Wenn auf all diesen Bildern und an all diesen Tischen nur weiße Männer in Anzügen zu sehen sind, die alle Entscheidungen treffen, entsteht das Gefühl, da ist gar kein Platz für uns Frauen und es macht auch keinen Sinn, sich um einen zu bemühen.
lebenswelten: Welche Vorteile siehst du auch aus einem diversen Miteinander in der Berufswelt?
Mareike: Ist nicht alles viel interessanter, wenn es bunter ist? Alle Lebensbereiche machen dann mehr Spaß. Ich bin überzeugt, dass ein Umdenken und Inkludieren all jener Menschen, die es in unserer Gesellschaft gibt, ein besseres und faires Miteinander schaffen. Das heißt, wir müssen in der Arbeitswelt wie auch in der Bevölkerung im Ganzen gegen die eingefahrenen Strukturen ankämpfen und stattdessen solche etablieren, die uns allen mehr Chancen gewähren.
Inspiration und Appell
lebenswelten: In deinen Büchern geht es sehr zentral um diese Themen der Gerechtigkeit, Gender Pay Gap und der Relevanz von Care-Arbeit. Woher kommt der Drang darüber zu schreiben?
Mareike: Ich habe eine literarische Herangehensweise. Für mich sind drei Dinge wichtig: erstens gute Geschichten, zweitens glaubwürdige Personen und drittens ein Plot, der nicht nur unterhält, sondern auch zum Nachdenken anregt. Was ist für mich interessant zu erzählen? Bei „Die Wut, die bleibt“ waren es die Umstände und Nachrichten anderer Mütter und Freundinnen während des Lockdowns, die unter der Belastung von Home Office und Homeschooling irgendwann nicht mehr wussten, wie sie das alles noch schaffen sollten. Auch bei „Und alle so still“ war es die Diskussion, was passieren würde, wenn Frauen aufhören, die Care-Arbeit zu übernehmen. Die Zuschreibungen kommen von außen: feministisch und empowernd. Natürlich ist es das Beste, wenn ich dafür stehen kann. Aber meine Motivation ist in erster Linie die des Erzählens.
lebenswelten: Möchtest du unseren Leser:innen noch etwas mit auf den Weg geben?
Mareike: Ich weiß, dass Zahlen oft dazu führen, dass man sich überfordert oder hilflos fühlt. Wie sollen wir das nur schaffen? Dieses ständige Laufen gegen die Strukturen, das Ohnmachtsgefühl, das dabei entsteht, und auch die Erschöpfung aus dem stetigen Erkennen des Missstandes – all das darf uns nicht davon abhalten, aktiv zu bleiben. Denn es braucht nur die Beteiligung von 3,5 Prozent der Menschen in einem Land, um eine Veränderung herbeizuführen. Das mag zunächst viel erscheinen, doch wenn man sich vor Augen führt, dass die Hälfte der Bevölkerung Frauen sind, wird schnell klar, dass wir noch viel erreichen können, wenn wir uns nur zusammen tun.
Wir können und müssen Schritte setzen, indem wir diese Themen konsequent bewusst machen. Wir müssen darüber sprechen und Veranstaltungen wie #DIEzukunft#DIEzukunft wurde 2021 in der Salzburg AG als internes Programm für eine erhöhte Chancengleichheit ins Leben gerufen. Eine offene Unternehmenskultur fördert ganz wesentlich den kulturellen Wandel… trifft, Lesungen und Diskussionen organisieren. Und die neuen GenerationenEine Generation ist eine Gruppe von Menschen, die durch ihre Altersgruppe oder aufgrund geteilter historischer oder kultureller Erfahrungen eine zeitbezogene Ähnlichkeit haben.Im öffentlichen Diskurs sprechen…, die nachkommen, haben einen Vorsprung, und ich bin überzeugt, dass das einen Unterschied machen wird. Wir stehen schon ganz anders da als die Frauengeneration vor uns. Und für unsere Töchter wird es auch noch mal anders sein. Und wir haben Söhne, denen wir Themen anders mitgeben können. Das Patriarchat ist nicht in den letzten zehn Jahren gewachsen, daher ist es nicht realistisch zu glauben, wir könnten es vom einen auf den anderen Tag aufbrechen. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass wir es schaffen werden. Diese Entwicklungen werden nicht nur Frauen, sondern die Gesellschaft im Gesamten bereichern.
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